N. Fink u.a. (Hrsg.): The Teaching of the History of One’s Own Country

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Titel
The Teaching of the History of One’s Own Country. International Experiences in a Comparative Perspective


Autor(en)
Fink, Nadine; Furrer, Markus; Gautschi, Peter
Reihe
Forum historisches Lernen
Erschienen
Frankfurt 2020: Wochenschau-Verlag
Anzahl Seiten
359 S.
von
Béatrice Ziegler, Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik am ZDA, PH FHNW

Die Herausgeberin und die Herausgeber von «The Teaching of the History of One’s Own Country» befassen sich im Rahmen eines vom schweizerischen Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) geförderten Projekts seit einigen Jahren mit Fragen, die sich der Geschichtsdidaktik zum Inhalt, zum Stellenwert und zu Zielsetzungen der Behandlung des «eigenen Landes» im Geschichtsunterricht stellen 1 Den Ausgangspunkt ihres Projekts und den Rahmen der Publikation setzen sie mit der dreisprachig (deutsch, englisch, französisch) eingerückten Einleitung. In der Publikation erfolgen diesbezügliche Überlegungen vergleichend zwischen der Deutschschweiz und der Romandie und werden gerahmt von Diskussionsbeiträgen von Forschenden unterschiedlicher Länder. Dabei werden bildungspolitische Vorgaben der Curricula für den Geschichtsunterricht, Konkretisierungen durch Geschichtslehrmittel, vor allem aber die Akteure im Geschichtsunterricht, also die Lehrpersonen und die Schülerinnen und Schüler in den Blick genommen.

Neben den Beiträgen aus der Schweiz werden Texte aus Belgien, Kamerun, Québec, Japan, Korea, Palästina und Neuseeland präsentiert. Schliesslich wurde drei Autorinnen die Möglichkeit gegeben, von ihren Masterarbeiten zu Serbien, Bosnien-Herzegowina und schweizerisch-türkischen Doppelbürgern zu berichten. Dabei stellt sich allen Autorinnen die Frage, wie der Geschichtsunterricht von der «Fokussierung auf Identitäten zur aufgeklärten Bildung» (S. 9, ebenso in Englisch, S. 11) schreiten kann (französische Version: «comment passer d’une focalisation sur les identités nationales à une éducation ouverte au pluralisme», S. 10).

Helene Mühlestein zeigt mit ihrer Untersuchung der konfessionellen Prägungen von Lehrmitteln der Kantone Aargau, Schwyz und Zürich, dass in der (bildungs‐)föderalen Schweiz Lehrmittel in die regionale Geschichtskultur hinein konzipiert worden sind, also keinesfalls von einheitlicher nationaler «Identität» als Bildungsziel gesprochen werden kann. Sie stellt dar, dass die schweizerische Ausprägung des Kulturkampfs zur unterschiedlichen Thematisierung, Deutung und Zuweisung von Verantwortlichkeiten führte, aber auch, dass die deutlich feindselige Darstellung der jeweils anderen Konfession (Katholizismus vs. Protestantismus) des 19. Jahrhunderts allmählich einer versöhnlicheren Thematisierung wich. Markus Furrer und Lyonel Kaufmann untersuchen das Gewicht und die Darstellung der Schweizer Geschichte in aktuellen Lehrmitteln der Sprachregionen und arbeiten Unterschiede heraus. Sie halten fest, dass in denselben die «Sonderfallrhetorik» und die klassische Erzählung der Genese der Schweiz aus dem Rütlischwur nicht mehr vorkommt, hingegen eine ‹Europäisierung› der Existenz des Landes feststellbar ist. Nadine Fink und Peter Gautschi nutzen die Beschreibung einer Geschichtslektion in der Waadt, um ihren Fragenkatalog, den sie für eine breitere Untersuchung von Lektionen verwenden wollen, zu erläutern. Sie verstehen sie als Heuristik, um den Inhalt und die Förderung von Kompetenzen im Hinblick auf die Behandlung der Geschichte der Schweiz analysieren zu können. Nicole Riedweg und Peter Gautschi beschäftigen sich mit der Literatur zu Überzeugungen von Lehrpersonen hinsichtlich der Geschichte des eigenen Landes. Sie stützen sich dabei auf die bisherige Belief-Forschung ab und schlagen eine Erweiterung mit vier spezifischen Überzeugungen vor, mit der die Zielsetzungen des Unterrichts zur Geschichte der Schweiz erfasst werden sollen. Michel Charrière berichtet von seiner Analyse von luzernischen Maturaprüfungen (2012–2018). Die Untersuchung des Stellenwerts von Schweizer Geschichte bzw. Schweiz-Bezügen in den 55 Prüfungen (286 Aufgaben) resümiert der Autor mit der Feststellung, dass solche Aufgaben einen marginalen Platz in den Maturitätsprüfungen einnehmen.

Der belgische Geschichtsdidaktiker Karel van Nieuwenhuyse eröffnet die internationalen Perspektiven auf die Erforschung der Behandlung des «eigenen Landes» mit einem methodisch präzisen Bericht zu einer explorativen Studie zur Thematisierung der belgischen Geschichte im 11./12. Schuljahr während jeweils zwei Lektionen durch vier Lehrerinnen. Er zieht aus der Untersuchung den Schluss, dass nationale «Identität» nicht oder affirmativ gefördert wird, während die dekonstruktiven Fähigkeiten vernachlässigt werden und so eine Orientierung der Schüler*innen kaum möglich wird.

Die weiteren Beiträge bezeugen die Indienstnahme der schulischen Geschichtserzählung entweder für die Erzeugung eines Nationalbewusstseins oder für die Pflege eines hegemonialen Geschichtsnarrativs, das Gewaltverhältnisse bzw. gewalttätige Geschichte im eigenen Land unterschlägt.

Eugène Désiré Eloundou und Ndobegang Michael Mpapndah berichten auf der Basis der Lehrpläne über die Vorstellungen zur Unterrichtsgestaltung von Lehrpersonen aus Kamerun. Sie heben das Gewicht kamerunischer bzw. afrikanischer «Identität» bei den Zielsetzungen des Geschichtsunterrichts hervor. Akiko Utsunomiya und Nobuyuki Harada sehen das Ziel japanischen Geschichtsunterrichts in der Erlangung einer japanischen «Identität». Sie stellen dies anhand einer Lektüre der Lehrpläne und eines, den Markt dominierenden, Lehrmittels dar. Bob Mark berichtet von seiner langjährigen Tätigkeit an einer jüdisch-palästinensischen Schule. Er fragt dezidiert nach den Möglichkeiten, trotz Entlassungsdrohung das nationale Narrativ und die ‹zionistische Ideologie› in einem kritischen Unterricht zu praktizieren und erzählt von der Arbeit mit Familienerzählungen, die die Unterschiedlichkeit von (eigenen) Geschichten verdeutlicht. Er kritisiert das gleichzeitig einhergehende Verfestigen einer nicht diskutierbaren ethnisch-religiösen Nationalität. Sabrina Moisan, Paul Zanazanian und Aude Maltais-Landry arbeiteten zu den Vorstellungen von Lehrpersonen in der Provinz Québec. Die kleine explorative Studie untersucht, wie vier Lehrpersonen die Zielsetzungen des Unterrichts und insbesondere Pluralität einschätzen und wie sie dieselbe bearbeiten. Sie stellen fest, dass die kulturellen und Geschlechterdifferenzen im Blick sind, während soziale Unterschiede kaum bearbeitet werden. Sun Joo Kang thematisiert die Diskussionen um die Ausrichtung der Lehrpläne in Südkorea, um dann auf der Grundlage von Interviews mit zwei Lehrpersonen und exemplarischen Unterrichtsstunden, entgegengesetzte Zielsetzungen zu zeigen. Er schliesst daraus auf die Bedeutung der Auseinandersetzung mit der Quellenabhängigkeit von Geschichte, der Alterität und der vergleichenden Methode. Michael Harcourt zeigt, dass in Neuseeland die Lehrpläne kaum Vorgaben zur Wahl von Themen machen. Dementsprechend unterschiedlich wird Geschichtsunterricht gestaltet. Insbesondere zeigt der Autor, dass die Geschichte der langedauernden und blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Siedlern und den Maori wenig behandelt wird.

Auch die Berichte zu Luzerner Masterarbeiten von Ljiljana Milikovic (Serbien), Ivan Maros (Bosnien und Herzegowina) und Martin Basmaci (Türkei in den Erzählungen von schweizerisch-türkischen Doppelbürgern) stützen die Aussage, dass ethnisch geprägte, politisch gestützte Versionen historischer Entwicklungen einer Freund-Feind-Logik folgen, die auch für die aktuelle Gestaltung friedlichen Zusammenlebens in und zwischen Ländern eine Hypothek darstellen.

Im vorliegenden Band sind mit Ausnahme der Arbeit aus Kamerun und jener von Michel Charrière ausschliesslich explorative Kleinststudien versammelt. In der Regel wird zuerst das jeweilige Masternarrativ erzählt und dann die Arbeit zu Lehrplänen, Lehrmitteln, Aussagen von Lehrpersonen bzw. Unterricht darauf bezogen. Die gewonnenen Befunde überraschen mehrheitlich nicht. Bei vielen Beiträgen vermisst man Aussagen zur theoretischen Grundlage und zum methodischen Vorgehen ganz oder teilweise. Der Stand der hier vorgestellten Forschung zur «Geschichte des eigenen Landes» im Geschichtsunterricht weist darauf hin, dass sowohl in theoretischer wie inhaltlicher Hinsicht noch viel Arbeit vor der Geschichtsdidaktik liegt, wenn sie zu tragfähigen Aussagengelangen will, in welcher Hinsicht die «Geschichte des eigenen Landes» im Geschichtsunterricht überhaupt wünschbar ist und wie eine solche in einem kompetenzorientierten Unterricht, der Schüler/-innen zu eigenständigem historischen Denken führt, zu konzipieren wäre. Es ist das Verdienst des vorliegenden Bandes hierfür eine erste Zwischenbilanz generiert zu haben.

Anmerkungen
1 Für die Geschichtsdiskurse der Schweiz bzw. das nationale Narrativ der Schweiz in Schulbüchern kann auf wichtige Vorarbeiten zurückgegriffen werden: Franziska Metzger, Geschichtsschreibung und Geschichtsdenken im 19. und 20. Jahrhundert, Bern 2011; Markus Furrer, Die Nation im Schulbuch – zwischen Überhöhung und Verdrängung. Leitbilder der Schweizer Nationalgeschichte in Schweizer Geschichtslehrmitteln der Nachkriegszeit und Gegenwart, Hannover 2004.

Zitierweise:
Ziegler, Béatrice: Rezension zu: Fink, Nadine; Furrer, Markus; Gautschi, Peter (Hg.): The Teaching of the History of One’s Own Country. International Experiences in a Comparative Perspective, Frankfurt 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72 (2), 2022, S. 316-318. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00108>.